Refraktionsreduktion durch Turbulenzmessungen

Refraktionskorrekturbestimmung durch Modellierung des Impuls- und Wärmeflusses in der Rauhigkeitsschicht

In dieser Arbeit wurde ein neues Modell zur Berechnung der Refraktionskorrektur bei Zenitwinkelmessungen erarbeitet, das auf visurnahen Turbulenzmessungen basiert. Der hierzu nötige integrale vertikale Temperaturgradient entlang einer Messtrecke wird dabei aus Turbulenzparametern ermittelt, die prinzipiell auch aus geodätischem Beobachtungsmaterial selbst ableitbar sind. Der Berechnungsalgorithmus verwendet Profilfunktionen der Monin-Obukhov-Similaritiätstheorie und wurde erweitert, um auch innerhalb der bodennahen Rauhigkeitsschicht eingesetzt werden zu können. Vergleiche dieser aus szintillometrisch gemessenen Turbulenzparametern abgeleiteten Temperaturgradienten mit resistiv gemessenen Temperaturgradienten zeigten sehr gute Übereinstimmungen, sodass eine Reduktion des Refraktionseinflusses um mehr als 75 % möglich ist.

 

 

Messung von Turbulenzparametern durch Szintillation   Messung von Temperaturgradienten (PT100)

Messung von Turbulenzparametern durch Szintillation

 

Messung von Temperaturgradienten (PT100)

 

Meteorologische Prozesse als Grundlage der Modellierung

Die Unterteilung der atmosphärischen Grenzschicht geschieht nach den Werten der meteorologischen Parameter Temperatur, Druck, spezifische Feuchte, Dichte und dem Windvektor. Terrestrische geodätische Messungen finden fast ausschließlich in der bodennahen Grenzschicht statt, die grundsätzlich drei Zustände, stabil, neutral und labil, besitzen kann. Dabei ist der labile Zustand für geodätische Messungen wegen des hohen negativen Temperaturgradienten und der damit verbundenen starken Messstrahlbeugung durch Refraktion besonders kritisch. Hinzu kommt die zunehmende Instabilität der Luftschichten in Bodennähe, die thermisch induzierte Turbulenz verursacht. In geodätischen Beobachtungen tritt der turbulente Einfluss des Messmediums sowohl bei der Richtungsmessung (Bildpunkttanzen) als auch bei der Streckenmessung als erhöhtes stochastisches Rauschen in Erscheinung und kann durch zeitliches Mitteln eliminiert werden. Die Strahlbeugung selbst kann jedoch durch diese Mittelung nicht eliminiert werden.

In der Meteorologie wird die Buckingham-Pi-Theorie angewendet, um semi-empirisch die funktionalen Zusammenhänge der an einem Prozess beteiligten Variablen zu bestimmen. Die Monin-Obukhov-Similaritätstheorie ist eine Sonderform davon und beschreibt vor allem die Prozesse in der bodennahen atmosphärischen Grenzschicht. So steht eine Vielzahl von Gleichungen (Strukturfunktionen) zur Verfügung, die die Gesetzmäßigkeit eines dimensionslosen Terms von Parametern in Abhängigkeit eines anderen dimensionslosen Terms ausdrückt. Dabei bezieht man sich bei allen Gleichungen auf ein und denselben universellen Term, den sog. Stabilitätsparameter. Dieser ist repräsentativ für die gesamte (bodennahe) Atmosphäre, ist er bekannt, lassen sich alle anderen Terme und in weiteren Schritten die beteiligten Parameter selbst berechnen.

Der Energieerhaltungssatz ist eine der Grundgleichungen in der Physik. Die Aufteilung des Gesamtanteils kinetischer Energie in einen mittleren Anteil und einen stochastischen Anteil (turbulente kinetische Energie; TKE) liefert zwei Bilanzgleichungen. Das TKE-Budget enthält die stochastischen Anteile und besteht stark vereinfacht aus Produktions- und Vernichtungstermen. TKE wird mechanisch induziert durch Windscherung, kann vor allem an sonnigen Tagen durch Auftrieb stark erhöht werden und manifestiert sich durch kleine Luftwirbel. Der Zerfall dieser Wirbel in immer kleinere Strukturen (Zerfallskaskade im Kolmogorow-Bereich) endet mit der Vernichtung der Energie durch Dissipation, der Abgabe der Energie an die Umgebung. Dabei ist die kleinste noch erreichbare Wirbelgröße (innere Skalenlänge) in der Zerfallskaskade ein Maß für die Gesamtmenge der TKE.

Turbulenz lässt sich beschreiben durch die beiden Turbulenzparameter: den Strukturparameter des Brechungsindexes und die innere Skalenlänge, die sich beide Mithilfe eines Szintillometers erfassen lassen. Dabei werden die Intensitäten zweier parallel ausgerichteter Laserstrahlen des Szintillometers ausgewertet und aus den Intensitätsschwankungen selbst und deren Korrelationen die gesuchten Turbulenzparameter abgeleitet. Diese liefern mit den Grunddaten wie Messstrahlhöhe und mittlerer Temperatur genug Informationen, um unter Verwendung der Monin-Obukhov-Similaritätstheorie den Stabilitätsparameter, den kinetischen Impuls- und den Wärmefluss und schlussendlich den Temperaturgradienten zu berechnen.

 

Modifikationen im Modell

Die Monin-Obukhov-Similaritätstheorie setzt voraus, dass ein Mindestmaß an Wind herrscht und der Messort frei von Windhindernissen ist. Diese Voraussetzung lässt sich aber für geodätische Anwendungen kaum erfüllen, da hier fast immer der Messort durch das Messobjekt vorgegeben wird. Deshalb wurde das Modell für Bereiche innerhalb der Rauhigkeitsschicht erweitert, indem Hindernisse wie Gebäude oder Vegetation mit berücksichtigt werden. Diese beeinflussen durch die Minderung der Windgeschwindigkeit das Verhältnis von Impuls- und Wärmefluss, das in den Profilfunktionen der Monin-Obukhov-Similaritätstheorie starr für den jeweiligen Wert des Stabilitätsparameters ist. Die Annahme, dass kinetischer Impuls- und Wärmefluss in der bodennahen atmosphärischen Grenzschicht annähernd höhenkonstant sind, trifft ebenfalls nicht mehr zu. Vielmehr ist vor allem der Impulsfluss höhenvariabel und muss über seine Verhältnismäßigkeit im TKE-Budget berücksichtigt werden. Aus dem Wärmefluss folgt dann wie gewohnt der Temperaturgradient.

 

 

Windprofile in der Rauhigkeitsschicht bei verschiedenartigen Übedeckungen durch Gebäude oder Vegetation

Windprofile in der Rauhigkeitsschicht bei verschiedenartigen Übedeckungen durch Gebäude oder Vegetation

 

Das Modell in der Anwendung

Neben den Turbulenzparametern ist nun vor allem noch die Struktur der umgebenden Hindernisse in Form von Hindernisstruktur und Hindernisabstand von Bedeutung, aus denen sich die sog. Referenzhöhe ableiten lässt. In Kombination mit der Messstrahlhöhe ergibt sich dann der Skalierungsfaktor, der zur Umgewichtung im TKE-Budget führt. Hindernisabstand und Hindernishöhe sind dabei pauschal für die aktuelle Windrichtung zu bestimmen und können so an ein und demselben Messort je nach Windrichtung variieren. Unsicherheiten in den Hindernisparametern wurden durch Varianzfortpflanzung und Monte-Carlo-Simulationen untersucht, wobei weniger die Messgenauigkeit an sich als vielmehr der Weg der Entscheidungsfindung, welche der Hindernisse berücksichtigt werden müssen, zum Tragen kommt. Da bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Tachymeter beide Turbulenzparameter liefert wurden zum Zwecke der Verifizierung des Modells die Turbulenzparameter aus Szintillometermessungen verwendet. Der Vergleich mit direkt gemessenen Temperaturgradienten (PT100) ergab eine sehr gute Übereinstimmung von mindestens 75 %. Im Vergleich zum ursprünglichen Modell zeigt sich eine deutliche Verbesserung, sowohl in den Temperaturgradienten als auch in den turbulenten Flüssen selbst, was darauf hindeutet, dass die neue Modellierung die Wirklichkeit besser nachbildet.

 

 

Vergleich von gemessenen (dTPT100) mit aus Turbulenzparametern abgeleiteten Temperaturgradienten (alt: dTMOST, neu: dTRS)

Vergleich von gemessenen (dTPT100) mit aus Turbulenzparametern abgeleiteten Temperaturgradienten (alt: dTMOST, neu: dTRS)

 

Zukünftige Entwicklungsansätze

Das Modell ist durch Messungen auch für andere Hindernisstrukturen empirisch zu verifizieren oder zu verbessern. Ebenfalls sinnvoll ist die Erweiterung des zu erfassenden Parametersatzes um meteorologische Parameter im Besonderen aus dem Bereich der Mikrometeorologie. Des Weiteren fehlt noch als letzter Schritt die Implemetierung des Verfahrens in herkömmliche Tachymeter.

 

Literatur

ESCHELBACH, C. [2009]: Refraktionskorrekturbestimmung durch Modellierung des Impuls- und Wärmeflusses in der Rauhigkeitsschicht. Dissertation. Schriftenreihe des Studiengangs Geodäsie und Geoinformatik, Universität Karlsruhe (TH), Heft-Nr. 2009/1. 2009. zur Internetveröffentlichung

 

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